„Der Mut zum Gestalten ist eine Gottesgabe – es ist Kunst“
…schrieb mein Vater in mein Poesiealbum , als ich 12 war.

„Wer nicht gestaltet, wird krank“, gebe ich meinen Schülern weiter und bin von ihrer spontanen Freude und Energie beim Malen und Experimentieren mit allen möglichen Werkstoffen überrascht.
„Weil du so schön malst, hast du auch so viele Ideen“
Ada (7 Jahre)
Ja, das stimmt, ich nutze gerne Gestaltungsspielräume, wo immer sie sich ergeben. Im Berufsleben (Kunstlehrerin) und in meinem eigenen Kunstschaffen bin ich nicht besonders mutig , aber ziemlich stur und ausgestattet mit Durchsetzungswillen und „Schöpfungsdrang“.
Ich skizziere, zeichne und male wie eine Art Tagebuchführen. Tagebuch „des guten Lebens“ – wie es mir geschenkt ist! Die Welt würde ich zwar gerne verbessern, aber ich kneife und nutze meine Möglichkeiten, mit meinen Bildern zu erfreuen und anzuregen.
„Als Tangotänzerin und Malerin zeichnet und malt Christine Bülow in ihrem Berliner Atelier an „Tangolinien“, Tanzszenen, figürlichen und abstrakten Bildern.
Nach dem Kunststudium hat sie an verschiedenen Schultypen, auch Jugendkunstschulen und berufsbildenden Einrichtungen, Kunst unterrichtet und am Bundesinstitut für Berufsbildung an Projekten zur Integration von Kunst in die Berufsausbildung gearbeitet. Parallel dazu hat sie das eigene künstlerische Schaffen vorangebracht und etliche Ausstellungen arrangiert.
C.B. lässt sich von Natur und Landschaften inspirieren, Musik und Bewegungen sind ebenfalls Themen, die sie herausfordern. Das „entdeckende Sehen“ auf Reisen oder in ihrer Umgebung sind Grundlage für ihre Bilder: Perspektiven und Farben werden vertauscht, Objekte bekommen andere Funktionen oder werden abstrahiert dargestellt und verfremdet, Kleinigkeiten vergrößert und anders kombiniert und es wird vor allem „spielerisch“ und mit leichter Hand gestrichelt und gemalt.“
Aus: Tango Global, Band 3, Ralf Sartori (Hrsg), Juli 2017, Allitera Verlag
Ausstellungseröffnung am Freitag, 24. Mai 2013, 17 Uhr, in der Produzentengalerie Bruno Taut
Rede für Christine Bülow
Ich will das Lied singen von einem Vogel, der so singt, weil er so heißt: Vom Vogel Bülow. Ein etwas schriller, auffälliger Vogel – wenn man ihn denn zu sehen bekommt. Sieht ihn hier jemand?
Oft woanders als man vermutet, mal hier, mal dort. Sprunghaft sind seine Bewegungen. Man könnte sein Verhalten für chaotisch halten, aber es ist es auch. Sag‘ ich mal als Ornithologe, der ihn schon lange beobachtet. Bekommt man den Vogel durch Zufall doch mal zu Gesicht, so ist man überrascht von der Vielfältigkeit des farbigen Federkleides, das der Vogel – nicht immer geschmackvoll – aber behände den jeweiligen Situationen anzupassen weiß: Mal wie ein Malerkittel, mal wie ein Tanzkleid mit roten Schuhen, mit dem er Überraschung auslöst und Aufmerksamkeit erreicht. Er bewegt sich dann auch gleichsam tänzelnd, dreht sich, wiegt sich, andere komische Vögel fallen ein und das vormalig nicht durchschaubare Verhalten fügt sich zu einem harmonischen Ganzen, obwohl die Schrittfolge und die ihnen zugrunde liegende Musik uns Außenstehenden fremd bleiben muss. Seltsam anzuschauen.
Seltsam und widersprüchlich erscheinen uns andere Verhaltensweisen des Vogels Bülow, den wir, da er trotz seiner Ferne allmählich näher kommt und zutraulicher wird, sagen wir mal: Christine nennen wollen.
So hat sich Christine ihr Nest – nicht wie zu erwarten gewesen wäre – allein, unerreichbar in der weiten Natur individuell gebaut, sondern mit vielen anderen schrägen bunten Vögeln hier in der Nähe, weshalb man auch von
„Papageiensiedlung“ spricht. Alle Nester sind nach
demselben Muster errichtet, eng und dicht an dicht. Keiner hat richtig Platz, die Räume sind gestapelt statt nebeneinander.
Um die Weibchen anzulocken und gegen ihre Natur zum Brutverhalten anzuregen, haben die Männchen die Nester bunt angestrichen. Dieses seltsame Sehwarmverhalten der Vögel nennt man Tautologie.
Durch langjähriges, geduldiges Beobachten ist es mir gelungen, das Vertrauen unserer Christine zu erwerben und so etwas über ihr Leben in und am Nest zu erfahren. Hat der Besucher den ersten klaustrophobischen Schock überwunden und sich zu Küche und Wohnraum emporgearbeitet, wird er mit vorher emsig gesammelten biologisch-vegetarischen Lebensmitteln versorgt, die in köstliche Salat und andere Speisen verwandelt wurden. So gesättigt steigt man höher noch ins Allerheiligste. Hier erfolgt der zweite Schock: Das ,,Atelier‘ ‚. Ein Chaos aus Farben, Papieren, Bildern, Stiften, Kreiden, Pinseln auf Tischen, an den Wänden, auf dem Boden, Zeichnungen, Entwürfe, Verworfenes.
Und dort wird allmählich klarer, wie Christine Vogel Bülow arbeitet: Nicht vom Ende her, nicht vom fertigen Bild, das sie vor Augen hat, sondern vom Anfang her,
vom Chaos aus, von der totalen Formlosigkeit. Sie erprobt das Materiale, die Mittel, erfasst, sortiert, überprüft, verwirft, vergleicht, malt, malt, malt, zeichnet, zeichnet, ein Schub, ein Rausch. Sie ist immer in Bewegung, hüpft, fliegt hierhin, dorthin. Sie sieht, erfasst schnell – einige Linien, Striche über Papier. Sie geben der Fläche flüchtig Struktur (ein Zaun? Häuser?
Felder?). Sie erlauben der leicht hingeworfenen Farbe
Grund und Halt: Rapsfelder entstehen, Bäume (Sind es Birken?), Wolkenblau. Einige Augenblicke verweilt sie, sie hält sich nicht lange auf. Sie liebt die Leichtigkeit und Freiheit des Fliegens, den Zufall, der Form entstehen lässt. Wir können den Prozess miterleben: Wir spüren das Glück, den Bewegungen ästhetisch Ausdruck geben zu können. Wir sehen: Das Chaos löst sich, ordnet sich zu Ordnung, klärt sich zu Klarheit, wird Bild und enthält doch immer ihr Suchen, Zweifeln und ihre Hoffnung auf Harmonie in der Welt.
So wie sie den Alltag, ihren Beruf, die Unruhe und den Stress in der Struktur bewegter Ordnung im Tanz zu binden weiß, wie sie aus grünen Blättern Salate zaubert, wie sie aus Linien, Strichen und Farbe landschaftliche Räume werden lässt, so macht sie aus ihrer Welt ihre Kunst, ihren Tango an der Wand.
Und den Vogel Bülow, der nicht Christine heißt, gibt es wirklich: Den Pirol, lateinisch oriolus oriolus, französisch loriot.
Jürgen Rißmann
Christine Bülow malt, wässert, strichelt, zeichnet – verschiebt, verkleinert und -größert, alles mit leichter Hand. Im schönen Fall entsteht Bewegung in geformter Farbe. Eine feinspinnige Blüte schiebt sich über den Bildrand. Blütengeblätter kruschtelt auf engem Raum, zerkreuzt von tuscheänlichem Schwarz. Violett & Grün schweben als Tanzpaar einander zu, aber wahren ihr Terrain, daneben Blüte einer Blume in Aussparung. Eine Hornisse von Blüte dräut über braun-ockrigem Zinnober, das auf grün-stichigem Wolkengrau thront.
Dagmar Plugge